1899 Hoffenheim: Ein Traum

Acht Jahre ist es her, dass 1899 Hoffenheim als Aufsteiger die Bundesliga berauschte. Am Ende blieb es beim Traum von Europa, der sich im Kraichgau seither schlafwandlerisch durch die Spielzeiten zieht.

Wobei: Vor sechs Wochen hat sie es geschafft. Die TSG wird nicht nur in einem Atemzug mit Real Madrid genannt, sie hat den Champions-League-Sieger sogar abgeschüttelt. Ob Cristiano Ronaldo an Eugen Polanski oder Niklas Süle denkt, im Moment, da der Abpfiff die 1:2-Pleite beim FC Sevilla besiegelt, ist nicht überliefert. Also zum Fakt: Am 15. Januar 2017 ist der Bundesligist das einzige ungeschlagene Team in Europas Top-Ligen.

„Wahrscheinlich werden wir das nicht 34 Spieltage durchhalten“, hat Sportchef Alexander Rosen bereits im Dezember geahnt, als der Lauf anhielt, „aber wir werden es versuchen.“ Zwei Durchgänge später erübrigen sich weitere Gedankenspiele. Bei Aufsteiger Leipzig verliert die Mannschaft erst Stürmer Sandro Wagner per Platzverweis und dann das Duell mit 1:2. Durch die Serie hat Hoffenheim sich trotzdem erst mal in den vorderen Rängen etabliert.

Julian Nagelsmann kann die Wende vom Abstiegskandidaten zum Europacup-Aspiranten für sich reklamieren. Die TSG geht ungewöhnliche Wege, als sie bereits bei Huub Stevens‘ Amtsantritt im Oktober 2015 ankündigt, der U19-Coach werde den Schalker Jahrhunderttrainer im Sommer 2016 beerben. Nagelsmann als Schattenmann, was kurz darauf in anderem Licht erscheint: Stevens tritt bereits vier Monate später aus gesundheitlichen Gründen zurück. Sein designierter Nachfolger übernimmt das Team auf Platz 17, beendet parallel erfolgreich seine Trainerausbildung und wird mit 28 Jahren jüngster Chef-Trainer der nunmehr 54 Jahre alten Bundesliga-Geschichte.

Nach der Rettung am vorletzten Spieltag kann der Coach mit kompletter Vorbereitung in seine erste komplette Saison gehen, gibt der Mannschaft ein neues Gesicht und eine Linie. Rund 30 Spieler werden auf der Geschäftsstelle begrüßt oder, vor allem, verabschiedet. Mit Sandro Wagner kommt ein Stürmer vom SV Darmstadt 98, der gerne aneckt, aber noch lieber einnetzt. Dass er höhere Ambitionen hegt, darf jeder wissen, doch der gebürtige Münchener untermauert diese durch Tore.

Nur ein Aspekt der vielen positiven Zwischenzeugnisse für seinen Coach: Unter keinem anderen war die TSG so zielsicher bei der Chancenverwertung, strotzt mit Laufwerten und löst Konflikte am liebsten spielerisch, wie manch dürftige Zweikampfzahl zeigt. Selbst das kann zu Klagen führen, so geschehen nach der zweiten Niederlage vor zwei Wochen. Der VfL Wolfsburg dreht das Spiel, und Nagelsmann nimmt seine Mannen in die Pflicht, weil sie hätten kicken wollen, während dem Gegner mehr nach Kampf gewesen sei.

Wenn sie einen weiteren Grund zum Murren suchen, müssen die Verantwortlichen ihr Stadion nicht verlassen. Das fasst rund 30.000 Zuschauer, die nur leider selten kommen. Aus 18 Heimspielen seit Nagelsmann hat nur ein Gegner drei Punkte mitnehmen können – der S04 beim 4:1 am letzten Spieltag der Vorsaison. Die zählbare Resonanz ist ebenso ausbaufähig wie die Stimmung, wenn’s auf dem Rasen nicht direkt nach Wunsch läuft, mahnen die Macher.

Sollte Hoffenheim weiter Gefallen an den höheren Rängen finden, könnte sich manches Problem von alleine lösen. Und es hat ja niemand gesagt, dass das Erwachen aus einem Traum immer böse sein muss.

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