Dietmar „Didi“ Schacht: Einma' Pommes blau-weiß, bitte!

Als Schalker Kapitän opferte Dietmar – gerufen „Didi“ – Schacht einst seine Karriere für einen Derbysieg. Wenige Monate später wäre er um ein Haar im Trainerstab der Knappen gelandet. Und heute? Betreibt der Mann mit der Charakterglatze eine Currywurstbude.

Dietmar Schacht

Die große alte Zeit verfolgt den 57-Jährigen bis heute. Wenn er durch die Fußgängerzone seiner Heimatstadt Duisburg schlendert, kann es jederzeit passieren, dass aus der Menge ein langgezogenes „Didiiii!“ ertönt. Damals, im Gelsenkirchener Parkstadion, begleitete ihn dieser Ruf auf Schritt und Tritt. Schacht war nicht nur Schalkes Kapitän in der legendären Aufstiegssaison 1990/1991, sondern auch Publikumsliebling – und das aus gutem Grund: Der Vollblutverteidiger war einer, der stets voranging und nie zurückzog. Bis er sich im Derby derart aufrieb, dass er seine Laufbahn beenden musste. Doch dazu später mehr.

Heute ist Schacht Trainer im Warte- und Gastronom im Würstchenstand: Er macht geschäftlich in Pommes-Currywurst und hat sich dazu ein ganz besonderes Konzept ausgedacht. Wobei: Ursprünglich hatte Schacht einen ganz anderen Plan geschmiedet …

Mit seiner Lebensgefährtin wollte er eine Eisdiele eröffnen, im Wallfahrtsort Kevelaer am Niederrhein. „Dorthin reisen jedes Jahr fast eine Million Pilger“, rechnet Schacht vor. „Wir dachten: Eiscreme geht an so einem Ort immer.“ Nun ja, fast immer: „Als wir 2017 die Idee hatten, war es gerade November oder Dezember. Da haben wir uns mal genauer umgesehen und schnell festgestellt, dass das Eisgeschäft fast überall nur saisonal läuft. Zudem wäre der finanzielle Aufwand – und damit das Risiko – sehr hoch gewesen.“ Also musste eine neue Idee her. Eine, die zu Didi passt, mit ordentlich Dampf und einer gesunden Portion Schärfe.

Dietmar Schacht

„Eines Tages waren meine Lebensgefährtin und ich auf einem Stadtfest“, erinnert sich der Ex-Profi, „dort war klar: Würstchen sind noch immer der Renner.“ Der Junge aus dem Ruhrpott, gerade frisch als Trainer des niederrheinischen Oberligisten SV Straelen entlassen, setzte sich an seinen Schreibtisch und feilte an einem Konzept. „Ich hatte ja eh nichts zu tun und wollte nicht immer nur mit meinen Hunden an der Duisburger Regattabahn spazieren gehen.“ Seit dem Frühjahr 2018 ist Didi nun stolzer Eigentümer eines stylischen Streetfood-Anhängers. Aufschrift: „Didis original Berliner Currywurst“. Und das Essen auf Rädern brummt. „Wir haben zwei Sorten Würstchen auf der Karte: klassische Bratwürste von einem bekannten Duisburger Metzger und die Original-Currywürste von der Berliner Kultbude Curry 36.“ Der eigentliche Renner aber ist Didis selbst entwickelte Soße, deren genaue Rezeptur streng geheim ist. Nur so viel verrät der Neu-Gastronom: „Die Leute lieben sie.“

Von montags bis freitags parkt Didi Schacht seinen Anhänger an wechselnden Standorten in Duisburger Stadtteilen oder Rheinberg. „Inzwischen habe ich dort viele Stammkunden“, berichtet der Unternehmer, der größtenteils selbst hinterm Tresen arbeitet. Motto: Wo Didi draufsteht, muss auch Didi drin sein. „Natürlich kommen manche Leute auch vorbei, um ein Foto mit mir zu machen oder ein bisschen über Fußball zu quatschen“, erzählt der volkstümliche Ex-Profi. „Aber das ist schon okay.“ Und so serviert Schacht, der einst aus der Jugend des MSV Duisburg hervorging und bei den Zebras in der Bundesliga debütierte, neben gutem Essen auch seine Einschätzungen zum aktuellen Profigeschäft: „Viele meiner Kunden wollen über den MSV reden, manche über Fußball im Allgemeinen – aber hauptsächlich reden sie über: Schalke.“

Wenn du das große Glück hattest, für diesen Club spielen zu dürfen, lässt dich das nicht mehr los.

Dietmar Schacht

Was die Knappen angeht, ist Schacht immer auf dem Laufenden, denn der S04 ist bis heute sein Verein. „Wenn du das große Glück hattest, für diesen Club spielen zu dürfen, lässt dich das nicht mehr los, denn es gibt nichts Besseres.“ Er denkt dankbar an seine drei Profijahre in Königsblau (1989 bis 1992) zurück. „Ich sag’s mal so: Ich bin mit Leib und Seele Bürger der Stadt Duisburg, aber im Herzen bin ich Schalker.“ Fünf-, sechsmal pro Saison weilt Didi bei Heimspielen in der VELTINS-Arena, meistens als Fan, manchmal auch in offizieller Mission: „Ich war schon häufiger Co-Kommentator bei den Übertragungen von Schalke TV, meistens bei Duellen gegen Werder, weil ich gegen die Bremer scheinbar Glück gebracht habe.“ Irgendwann aber riss seine Serie: „Jetzt müssen wir wohl einen neuen Gegner für mich finden.“

Vor rund drei Jahrzehnten lief Schacht noch selbst für die Knappen auf. Insbesondere seine letzte Schlacht ist unvergessen: „Vor dem Spiel hatte ich Spritzen bekommen, dennoch spürte ich wahnsinnige Schmerzen im Sprunggelenk“, erzählt er von jenem verhängnisvollen 24. August 1991. „Ich bin also zu Aleks Ristic gegangen und sagte: ‚Trainer, ich kann heute nicht.‘“ Doch an jenem 5. Spieltag der Saison 1991/1992 ist Derby, das erste Duell mit Borussia Dortmund seit dem Wiederaufstieg, pickepackevolles Parkstadion. Ristic und Schalke brauchen jeden Mann – vor allem Didi Schacht, den kompromisslosen Kapitän. „Der Physio kam zu mir und sagte: ‚Jetzt mach dich erst mal warm, Didi. Du wirst sehen: Wenn du die Rolltreppe runterfährst und das ganze Stadion deinen Namen ruft, dann vergisst du die Schmerzen.‘“ Und genau so kommt es: „Didiiii!“ macht eine grandiose Partie, Schalke gewinnt mit 5:2 (Tore: Anderbrügge, Güttler, Luginger, Schlipper, Sendscheid), und die Fans feiern bis tief in die Nacht. Schacht hingegen fährt nach dem Spiel brav nach Hause. Dennoch schafft er es am folgenden Morgen nicht allein aus dem Bett: „Nicht nur mein angeschlagenes Sprunggelenk tat mir höllisch weh, sondern der ganze Körper“, erinnert sich der Held, der nie wieder richtig auf die Beine kommen sollte.

Dietmar Schacht

Einige Wochen und zwei, drei Comeback-Versuche später erfährt er die bittere Diagnose: schwere Arthrose in beiden Sprunggelenken. „Man sagte mir: ‚Wenn du weiter Fußball spielst, landest du irgendwann im Rollstuhl.‘“ Schicht für Schacht: Sportinvalidität, Karriereende mit gerade mal 30 Jahren. „In so einem Moment bist du natürlich erst mal komplett durch den Wind“, bekennt er. „Zum Glück hat Ristic dafür gesorgt, dass ich nur vier Monate später meine Fußballlehrer-Lizenz an der Deutschen Sporthochschule machen konnte. Und die Berufsgenossenschaft hat mir den Kursus bezahlt – quasi als Umschulung.“ Innerhalb eines halben Jahres wird so aus dem eisenharten Defensivspieler Didi der fertig ausgebildete Trainer Dietmar Schacht. „Als ich den Schein in der Tasche hatte, lief die Saison 1991/1992 noch, und ich bin natürlich zu jedem Heimspiel ins Parkstadion gekommen. Aber ich saß nicht wie die anderen Verletzten oben auf der Tribüne, sondern mit unten auf der Bank: Ich wollte alles aus der Trainerperspektive verfolgen.“

Was Schacht dort sieht, ist teils erfreulich, teils weniger. Einerseits schafft Schalke den Klassenerhalt. Andererseits gerät dieses Saisonziel zwischendurch unnötig in Gefahr. Nach dem fünftletzten Spieltag und einer 1:2-Heimpleite gegen die Stuttgarter Kickers muss Ristic vorzeitig gehen. Club-Ikone Klaus Fischer übernimmt und führt die Mannschaft mit zwei Siegen aus den letzten vier Spielen ans rettende Ufer. Für Schacht tut sich plötzlich eine neue Chance auf, wie er rückblickend erzählt: „Fischer sollte die Mannschaft in der darauffolgenden Saison als Chef-Trainer betreuen, und ich sollte sein Assistent werden. Das war alles so weit besprochen.“ Doch noch am selben Abend bekommt Didi einen Anruf: „Fischer war am Apparat. Ich dachte, er will mir noch mal persönlich gratulieren und vielleicht vorab ein paar Dinge besprechen. Doch er sagte: ,Ich habe schlechte Neuigkeiten für dich, ich habe mich gegen dich und stattdessen für Jürgen Gede entschieden.‘“

Man sagte mir: ‚Wenn du weiter Fußball spielst, landest du irgendwann im Rollstuhl.‘

Dietmar Schacht

Am Ende kommt es komplett anders: S04-Präsident Günter Eichberg zaubert Udo Lattek als neuen Chef-Coach aus dem Hut. „Aber wer weiß, was draus geworden wäre, wenn Fischer mich in sein Team bestellt hätte“, orakelt Schacht heute. „Vielleicht wäre ich dann auch unter Lattek Co-Trainer geblieben und meine Trainerkarriere wäre ganz anders verlaufen.“ So aber muss der einstige S04-Kapitän den mühsamen Weg durch die Fußballprovinz wählen. Nach einigen Lehrjahren als Co-Trainer unter großen Namen wie Ristic, der ihn 1994 in den Stab von Fortuna Düsseldorf holt, und Pierre Littbarski (beim MSV Duisburg und beim FC Vaduz in Liechtenstein) reizt ihn irgendwann die Chefrolle. Und Schacht feiert Erfolge: Mit dem Frauen-Bundesligisten SC Bad Neuenahr belegt er in der Saison 2005/2006 Rang vier und damit die beste Platzierung in der Vereinsgeschichte. Den Oberligisten SV Bergisch Gladbach führt er 2012 in die Regionalliga, und mit dem Duisburger Traditionsclub Hamborn 07 schafft er 2017 den Aufstieg in die Landesliga. Noch im selben Sommer übernimmt Schacht den niederrheinischen Oberligisten SV Straelen, wo er bereits nach 13 Spielen beurlaubt wird, aber noch bis Mitte 2020 unter Vertrag steht. „Spätestens dann“, betont der bekennende Fußball-Junkie, „bin ich offen für Angebote von ambitionierten Vereinen. Um die Currywurstbude muss sich dann eben ein Angestellter kümmern.“

Welche Art Fußball Schacht am liebsten spielen lässt? Da will er sich nicht festlegen, betont jedoch: „Ich habe von all meinen früheren Trainern einiges mitgenommen: Ob das Horst Franz in Bielefeld war oder Peter Neururer, der mich 1989 von Alemannia Aachen zu Schalke geholt hatte. Auch Ristic hat mir natürlich eine Menge mit auf den Weg gegeben.“ Doch ganz so unnahbar wie der heute 75-Jährige aus dem früheren Jugoslawien will Didi für seine Spieler nicht sein: „Ristic war ganz alte Schule. Er gab, wann immer er vor der Mannschaft stand, den harten Hund. Nur wenn man unter vier Augen mit ihm sprach, konnte er auch mal zuhören und verständnisvoll sein.“

Dietmar Schacht, Charly Neumann und Michael Kroninger

Für unangemeldete Störungen aber hatte „König Aleks“ überhaupt kein Verständnis, wie Schacht am eigenen Leib erfuhr: „Unter Ristic war es stets so, dass er nach dem Training so gegen 12 Uhr seinen Kopf in die Mannschaftskabine steckte, mich als seinen Kapitän zu sich rief und mit seinem Akzent flüsterte: ,Didi, sag bitte Mannschaft: Ist Training morgen um 10 Uhr.‘ Einmal aber saßen wir noch weit nach 12 da, doch Ristic kam und kam nicht. Er hatte wohl eine Besprechung in der Trainerkabine. Also sagten die Kollegen zu mir: ,Didi, wir wollen nach Hause, bitte geh zum Trainer und frag ihn, wann morgen Training ist.‘ Ich entgegnete: ,Jungs, ich bin doch nicht verrückt, der reißt mir den Kopf ab.‘ Aber sie ließen nicht locker, also zog ich los. Kaum hatte ich die Tür einen Spalt breit geöffnet, hallte mir ein ganzer Schwall lautstarker Beschimpfungen entgegen, sodass ich kleinlaut in die Kabine zurück schlich. Keine fünf Minuten später tauchte Ristic auf, bat mich zu sich und sagte ganz leise, als wäre nie etwas gewesen: ,Didi, sag bitte Mannschaft: Ist Training morgen um 10 Uhr.‘“

Und während Schacht erzählt, spiegeln seine Augen den Glanz vergangener Tage wider: das gleißende Flutlicht im Parkstadion, die bengalischen Feuer in der alten Nordkurve, die Scheinwerfer der TV-Kameras. „Ich hatte so viele wunderbare Momente auf Schalke. Der vielleicht schönste war meine Vertragsunterzeichnung im Sommer 1989, dann der Aufstieg 1991 oder das 5:2 gegen Dortmund. Auch wenn ich letztlich nur drei Jahre blieb, war es eine fantastische Zeit, die ich absolut zu schätzen weiß.“

Das mit der Wertschätzung beruht wohl auf Gegenseitigkeit, wie „Didiiii!“ Jahr für Jahr begeistert feststellt: „Zu jedem Geburtstag bekomme ich vom FC Schalke 04 einen großen Blumenstrauß geschickt, bis heute. Das heißt, man hat mich dort nicht vergessen – und darauf bin ich sehr, sehr stolz.“

Schalker Kreisel

Der Text ist ursprünglich im Schalker Kreisel #6 der aktuellen Saison erschienen.

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